Vor genau 40 Jahren, im März 1980, kam Klaus-Jürgen Sembach nach Nürnberg. Geholt hatte ihn Nürnbergs kreativer und innovativer Kulturreferent Hermann Glaser, um die von ihm ein halbes Jahr zuvor ins Leben gerufene „Projektgruppe Industriekultur“ auf dem Weg zur Entwicklung eines neuartigen Museums zu führen. Zuvor hatte Sembach in München die Präsentation der weltweit größten Design-Sammlung, der Neuen Sammlung, konzipiert und spektakulär umgesetzt. Sein Augenmerk richtete er bereits damals auf die Funktionalität und damit die Schönheit der Dinge. Die neue Herausforderung in Nürnberg bestand nun darin, die menschliche Lebenswelt unter industriellen Bedingungen sichtbar zu machen und zu dokumentieren. Das Alltagsleben im Zeitalter der Industrialisierung stand im Mittelpunkt, und solange ein Museum noch nicht in Sicht war, steuerten er und die Projektgruppe dieses Ziel mit verschiedenen Ausstellungen an.
Am Anfang standen die „Expeditionen ins Alltägliche“, die erste Ausstellung im historischen Nürnberger Straßenbahndepot im Stadtteil St. Peter, wo sich heute dauerhaft ein Museum zur Geschichte der Nürnberger Straßenbahn befindet. Die Grundidee der Ausstellung war die Erschließung komplexer Themen, gesellschaftlicher Bereiche und Gedankenräumen durch einfache Alltagsgegenstände wie beispielsweise die Spalttablette, den Henkelmann und andere. Erstere führte in die Bereiche Gesundheit, Krankheit, Schmerz, Heilung, Suchtgefahr und Fortschrittsglauben ebenso wie zu den entsprechenden Bereichen industrieller Produktion. Der Henkelmann verwies auf den industriellen Arbeitstag, auf Arbeiten, Wohnen, Essen, Freizeit und Vereinsaktivitäten.
Die Lebensgeschichten von Nürnberger Arbeitern
1984 folgte die Ausstellung „Arbeitererinnerungen – Geschichte einer Nürnberger Arbeitergeneration“. Sie war ein Extrakt aus mehr als hundert, teils sehr umfangreichen mündlich überlieferten und dann verschriftlichten Lebensgeschichten von Nürnberger Arbeitern der Jahrgänge 1895 bis 1910. Das Ergebnis dieser narrativen Interviews war die Alltagsgeschichte der Menschen „hinter den Maschinen“ in bisher noch nie dokumentierter Form. Darüber hinaus haben die teilweise tief beeindruckenden Erzählungen alle am Projekt Beteiligten geprägt und für den Umgang mit diesem zentralen Thema in einem zukünftigen Museum sensibilisiert. Dank der klugen Konzeption von Klaus-Jürgen Sembach entstand aus dem naturgemäß sehr textlastigen Ausgangsmaterial – dem Schrecken aller Ausstellungsmacher – eine Präsentation in der Norishalle, die bei den Nürnbergern gut ankam.
Durchbruch auf dem Weg zu einem eigenen Museum
Ein Jahr später folgte der Durchbruch auf dem Weg zu einem Museum Industriekultur in Nürnberg. Unter dem Titel „Zug der Zeit – Zeit der Züge“ wurde das 150jährige Jubiläum der deutschen Eisenbahn auf dem Areal des ehemaligen Eisenwalzwerkes Julius Tafel im Nürnberger Osten gefeiert. Sembach erkannte sofort das Potential der archaischen roten Backsteingebäude für das Thema Industriekultur. Er war mit einigen Mitarbeitern für die Darstellung der kulturhistorischen Bereiche der Eisenbahngeschichte zuständig, die entsprechende Ausstellung fand in der ehemaligen Schraubenfabrikhalle des Walzwerkes statt. Nach dem Ende des von einem Millionenpublikum besuchten Jubiläums, begann 1988 die aus finanziellen Gründen schrittweise Entwicklung des Museums Industriekultur in den Räumen der Schraubenfabrik.
Die dafür entwickelte dreiachsige Konzeption mit den Bereichen Arbeitswelt, Private Lebenswelt und Öffentlichkeit entlang einer zentralen Erschließungsachse mit zahlreichen Inszenierungen durch die Zeit der vergangenen rund 200 Jahre Nürnberger Stadtgeschichte gilt in Grundzügen bis heute, mit kontinuierlichen Ergänzungen, Erweiterungen und Anpassungen an aktuelle Entwicklungen.
Ausstellungsmacher mit großem Renommee
1993 verabschiedete sich Klaus-Jürgen Sembach als Gründungsdirektor des Museums Industriekultur in den Ruhestand und verließ Nürnberg. In den Folgejahren gestaltete er noch zahlreiche regionale und überregionale Ausstellungen zu verschiedensten Themen. Dabei erwarb er sich den Ruf eines der profiliertesten Ausstellungsgestalter Deutschlands. Er starb am 29. März 2020 in Berlin.
Matthias Murko war ab 1981 Mitglied der „Projektgruppe Industriekultur“, ab 1988 wissenschaftlicher Mitarbeiter und von 1996 bis 2018 Leiter des Museums Industriekultur.
Matthias Herbert
13 / 8 / 2020 | 18:13
Lieblingsarchitekt ! In stiller Andacht und Gedenken, ein dankvoller Handwerker