Sie nennen es „positiven Größenwahnsinn“: Ein virtuelles Museum erschließt Kunstwerke und Künstler sowie Architektur in Nürnberg und macht sie via Internet weltweit zugänglich. Auch Kunstwerke aus dem Besitz der städtischen Museen sind mittlerweile dort zu finden. Verantwortlich für das ambitionierte Projekt zeichnet der Förderverein Kulturhistorisches Museum Nürnberg e.V.
„Die Einheimischen sind sich oft nicht bewusst, in welch schöner Stadt sie leben“, sagt Theo Noll. Er stammt aus Neuwied, kam vor zehn Jahren nach Nürnberg und hat sich sofort in die Stadt verliebt. Mit Haut und Haar. Sein Wissen aus dem Studium von Kunstgeschichte, Malerei und Grafik bringt er in die Gestaltung und Ausstattung des Virtuellen Museums voll mit ein. Zusammen mit dem Architekturhistoriker Dr. Pablo de la Riestra, auf dessen Idee das Virtuelle Museum initiiert wurde, arbeitet er an den monatlichen neu erscheinenden reich bebilderten Beiträgen.
Beispiel Georg Schweigger. Kürzlich erst war Theo Noll, der im Auftrag des Fördervereins arbeitet, in Scheinfeld und hat Epitaphe fotografiert und ein Kruzifix in einer Koblenzer Kirche. „So wie das Lendentuch geworfen ist, muss Schweigger das von Veit Stoß übernommen haben!“ Es sind solche Querverbindungen, die Noll faszinieren – und die er den Besuchern des Virtuellen Museums vor Augen führen will. Ganz buchstäblich durch das Nebeneinanderstellen von Kunstwerken. Sehen heißt vergleichen, sagt Theo Noll, in leichter Abwandlung von Walther Rathenaus „Denken heißt Vergleichen“.
Gemachet in Nürnberg
Aber wie auswählen? Der Förderverein hat sich einen großen Rahmen gesteckt: die „ Erhaltung und Darstellung des kulturellen Erbes der ehemaligen Reichsstadt Nürnberg“, grob in der Zeit von 1424 bis 1933. Das bedeutet hunderte Künstler, tausende Kunstwerke und viele herausragende Bauten. Als Grundlage dient das vierbändige Künstlerlexikon von Manfred H. Grieb mit seinen 20.000 Einträgen. „Wir haben bewusst nicht mit Dürer begonnen, den kennt jeder“, sagt Theo Noll. Den Anfang machen also bedeutende, auch international bekannte Künstler wie Adam Kraft beispielsweise oder die Erzgießerfamilie Vischer. In Magdeburg hat Theo Noll kürzlich ein Grabmal entdeckt, das den Vermerk trägt: „Ich wurde gemachet in Nürnberg von Peter Vischer.“
Ein solches Werk gehört unbedingt ins Virtuelle Museum Nürnberger Kunst, das ständig erweitert wird. Wie auch der Hirsvogelsaal mit seinem prächtigen Deckengemälde oder die drei Stuckdecken von Brentano, von denen zwei im Bauhof und im Stadtmuseum im Fembo-Haus öffentlich zugänglich sind, die dritte im Sparkassengebäude aber nun wenigstens im Internet betrachtet werden kann. Und beileibe nicht alles ist glorreichen Vergangenheit der Reichsstadt geschuldet: Auch die Messehalle 3a, die die weltbekannte Architektin Zaha Hadid für Nürnberg entworfen hat, wird natürlich aufgenommen.
Deutsche Geschichte wie im Brennglas
„Nürnberg ist nichts, was vorbei ist“, wehren sich Theo Noll und Werner Schultheiß, der Vorsitzende des Fördervereins Kulturhistorisches Museum, gegen allgegenwärtige Vorwürfe, in vergangener Reichsherrlichkeit zu schwelgen. Und überhaupt, was wäre dagegen zu sagen? „Ich bin der Meinung, dass es in Deutschland keine Stadt gibt, die wie Nürnberg die deutsche Geschichte wie in einem Brennglas konzentriert.“ Nicht nur fast 400 Jahre Reichsstadt seien zu nennen, sondern auch die Bedeutung Nürnbergs im 19. Jahrhundert – als die erste deutsche Eisenbahn hier startete und die Romantik ihren Ausgang nahm.
Werner Schultheiß weiß, wovon er spricht. Schon sein Großvater besaß eine große Norica-Sammlung, sein Vater war Stadtarchivdirektor von Nürnberg – und über die Freundschaft mit Manfred Grieb stieß er zum 2009 gegründeten Förderverein. Als Grieb 2012 überraschend starb, übernahm Schultheiß das Ruder. Das Durchsetzungsvermögen des Freundes fehle ihm, gibt der ehemalige Richter zu. „Nervensäge, das liegt mir nicht.“
Delsenbach und Sibylla Merians Mann
Dass auch mit Diplomatie und guten Kontakten viel zu erreichen ist, hat Schultheiß schon bewiesen: 2015 richtete eine Ausstellung über Johann Adam Delsenbach ein besonderes Augenmerk auf die kleinen menschlichen und allzu menschlichen Begebenheiten mit denen der Maler seine Straßenansichten schmückte.
Im August 2017 dann stemmte der Förderverein eine Ausstellung über Johann Andreas Graff als Pionier der Nürnberger Stadtansichten. Für den verkannten Maler und Stecher, der mit Maria Sibylla Merian verheiratet war, bedeutete dies auch eine Ehrenrettung: Über Jahrhunderte war – wohl fälschlich – kolportiert worden, er habe die berühmte Blumenmalerin und Schmetterlingsforscherin schlecht behandelt. Beide Projekte wurden in Kooperation mit den Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg und der Stadtbibliothek realisiert.
Ein eigenes Museum
Und jetzt? „Machen wir erst einmal Kassensturz“, sagt Werner Schultheiß und schmunzelt. Die Mittel des Fördervereins, der 125 Mitglieder zählt und den bescheidenen Jahresbeitrag von 25 Euro verlangt, sind überschaubar. Was den Verein nicht abhält, große Ziele zu verfolgen: ein kulturhistorisches Museum, das den Reichtum der Nürnberger Kunst darstellen soll. Kunst, Kunsthandwerks und Architektur sollen dort gewürdigt werden.
„Unter derzeitigen Verhältnissen schwerst vorstellbar“, gibt Werner Schultheiß zu. Aber wer hindert ihn und den Verein daran, Pläne zu schmieden und Förderer zu suchen? „Wir wollen das Bewusstsein für die Schätze der Stadt schärfen“, sagt Theo Noll und lädt ein, im Virtuellen Museum zu stöbern.
Virtuelles Museum Nürnberger Kunst
Die Ausstellung über Johann Andreas Graff war auch Vorlage für zwei virtuelle Ausstellungen bei Google Arts & Culture:
Pionier der Stadtansichten.
Ein Rundgang durch Nürnberg auf den Spuren von Johann Andreas Graff
Teil 1: Die Sebalder Altstadt
Teil 2: Die Lorenzer Altstadt