Wie war das eigentlich früher? Eine einfache Frage, aber die Antworten sind mitunter schwierig zu finden. Gerade, wenn es um die „kleine“ Geschichte vor Ort geht. Seit mehr als 30 Jahren erforscht der Verein „Geschichte Für Alle – Institut für Regionalgeschichte“ Nürnberg und die umliegenden Städte und arbeitet dabei auch mit den Museen der Stadt Nürnberg zusammen.
Freud und Leid liegen in der Erforschung der Regionalgeschichte nah beieinander. Das weiß am besten Bernd Windsheimer, der Historiker ist und die Geschäfte des Vereins führt. „Wenn man nur dranbleiben könnte an einem Thema“, seufzt er. So erfolgreich ist „Geschichte Für Alle“ mit seinen Rundgängen, dass für echte Forschungsarbeit oft wenig Zeit bleibt. Die Historikerinnen und Historiker des Vereins machen es dennoch immer wieder möglich: Aktuell wird die Geschichte der 1968er in Nürnberg für eine Ausstellung im Museum Industriekultur aufgearbeitet.
Das Beispiel stammt, historisch gesehen, aus jüngster Zeit. Andere Themen wie „Mauern, Türme und Bastionen“, Rundgänge zur „Reformation in Nürnberg“ oder zu „Kaspar Hauser“ und „Albrecht Dürer“ reichen gleich hunderte von Jahren zurück. Finden die Historiker da überhaupt Informationen? „Dass es nichts gibt, gibt es nicht“, sagt Bernd Windsheimer. Nur die „Römer in Nürnberg“ taugen lediglich für einen Aprilscherz.
Wenn die Quellen spärlich sprudeln
Die Faustregel heißt: Je früher ein Ereignis stattgefunden hat, desto spärlicher sind die Quellen. Natürlich. Deshalb werden in solchen Fällen auch Erkenntnisse einbezogen, die man anderswo über das Leben früher gesammelt hat. Für Nürnberg konzentriert sich Geschichte für Alle auf die Frühe Neuzeit, die mit der Entdeckung Amerikas, der Erfindung des Buchdrucks und der Reformation beginnt, und vor allem auf das 19. und 20. Jahrhundert.
Die Quellenlage müsste also gut sein. Doch die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg legten nicht nur Häuser in Schutt und Asche, sondern auch Archive. Wo Originalquellen fehlen, tröstet Bernd Windsheimer, können Historiker immer noch auf Sekundärüberlieferungen zugreifen. Akten im Bauamt beispielsweise oder Artikel in der Zeitung, die Rückschlüsse möglich machen. Ein mühsames Zusammensetzen von Mosaiksteinchen also? Schon. Aber immer wieder gelingt es den Geschichtsforschern so, Zusammenhänge zu entdecken, die zuvor nicht bekannt waren, oder Bezüge zu anderen Aspekten der Stadtgeschichte herzustellen.
Spuren im Stadtbild
„Die kreative Herausforderung ist dann, dem Ganzen eine Form zu geben.“ Sei es in Form eines Buches, einer Ausstellung oder aber als neuem Stadtrundgang. Die Anforderungen sind hoch: Eine Führung durch die Stadt und ihre Geschichte darf nicht zu speziell sein, auch nicht zu theoretisch. Vor allem aber müssen die Teilnehmer die Spuren der Historie noch im Stadtbild ablesen können. Wo die alte Bausubstanz abrasiert ist, Plätze ihre ursprüngliche Form verloren haben oder Häuser gänzlich anders genutzt werden – da fehlt die Verbindung zu dem, was die Rundgangsleiter von Geschichte Für Alle erzählen.
Glücklicherweise manifestiert sich in Nürnberg trotz der großen Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg noch jede Menge Geschichte. Der „Rundgang durch die Stadtgeschichte“ beispielsweise verbindet die Ausstellung „Krone – Macht – Geschichte“ im Stadtmuseum im Fembo-Haus mit einem Spaziergang zu bedeutsamen Orten in der Altstadt.
Von Rittertum bis Gartenguerilla
Insgesamt hat Geschichte für Alle inzwischen rund 100 thematische Rundgänge und historische Spaziergänge im Angebot. Sie reichen von „Ritter, Tod und Teufel“ und den Handelsimperien der Patrizierfamilien über das barocke Nürnberg des Kupferstechers Johann Adam Delsenbach bis hin in die Nachkriegszeit „Vom Trümmerfeld zum Wiederaufbau“ und greifen auch aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit („Zwischen Grünkernbratling und Gartenguerilla“) auf. Nur zum Beispiel.
Ein Schwerpunkt liegt immer schon auf der NS-Vergangenheit Nürnbergs. Rundgänge wie „Kaiserburg und Hakenkreuz“, „Die deutscheste aller Städte“ oder „Die Geschichte der Juden“ greifen sie auf und führen sie mit der „Stadt des Friedens und der Menschenrechte“ auch ins Heute. Gerade die Touristen von den Flusskreuzfahrtschiffen nähern sich diesem Aspekt der Nürnberger Geschichte oft mit einer Busrundfahrt über das ehemalige Reichsparteitagsgelände und besuchen anschließend das Dokumentationszentrum oder das Memorium Nürnberger Prozesse.
Geschichte ansprechend vermitteln
Etwa 12.000 Führungen wird Geschichte Für Alle in diesem Jahr auf die Beine stellen. „Unser Hauptziel ist die Aufklärung, die Teilnehmer sollen sehen lernen“, erklärt Bernd Windsheimer. Die „Eventisierung“ von Geschichte dagegen mag der Verein nicht mitmachen: Auch bei den kulinarischen Rundgängen oder bei den beliebten Theater- und Schauspielführungen steht die Vermittlung von Wissen im Vordergrund.
Ist Nürnberg nicht bald auserforscht? „Wir stoßen immer wieder auf Themen“, sagt der Geschäftsführer. Seien es Stadtteile, Unternehmensgeschichten oder andere schöne Ideen, in die sich Mitarbeiter oder Ehrenamtliche „verbeißen“. Ziegelstein wäre gut, an der Geschichte der Nürnberger Caritas und des traditionsreichen Leihauses Nürnberg arbeitet der Verein gerade. Ein persönliches Wunsch-Thema hätte Bernd Windsheimer auch: die Geschichte von Geschichte Für Alle – Institut für Regionalgeschichte. 1985 von Studenten gegründet, ist der Verein unablässig gewachsen. Inzwischen zählt er 15 feste Mitarbeiter und 250 freie Rundgangsleiter und erzielt einen Jahresumsatz von rund zwei Millionen Euro. Da könnte man viel erzählen, aber, seufzt Bernd Windsheimer, „es ist immer zu wenig Zeit“.
Informationen über den Verein „Geschichte für Alle e.V.“
Bildnachweis (soweit nicht anders angegeben): Geschichte Für Alle – Institut für Regionalgeschichte