Im Rahmen der Generalrevision der städtischen Kunstsammlungen wurden kürzlich vier Zeichnungen entdeckt, die bisher – als vermeintliche Kostüme des Nürnberger Theaters – in der Norica-Abteilung der Graphischen Sammlung ein verkanntes Dasein fristeten.
Philipp von Stubenrauch – Modeexperte an den Wiener Hoftheatern
Die sehr fein und detailliert ausgeführten Zeichnungen stellen jeweils auf zwei Blättern Personen in Renaissancetracht beziehungsweise in orientalischen Gewändern dar. Anhand der Signaturen lässt sich der Wiener Porträtist und Kostümentwerfer Philipp von Stubenrauch (1784-1848) als Zeichner identifizieren. Stubenrauch war ein Modeexperte seiner Zeit. Als Dekorations- und Kostümdirektor der beiden Hoftheater in Wien entwarf er nicht nur Ausstattungen und Kostüme, er zeichnete auch die Vorlagen für die Krönungsmäntel der Kaiser Franz I. und Ferdinand I.
Unter seinen als Druckgraphik reproduzierten Werken sind auch die Costümbilder aus der Quadrille des Costüm Balles beim großbritannischen Botschafter Sir H. Wellesley bekannt, diese wurden 1826 von der Wiener Zeitschrift publiziert. Die undeutlich zu lesende Beschriftung Besondere Beilage zur Wiener Zeitschrift 1826 No 33 am unteren Rand einer unserer Zeichnungen bezieht sich darauf und ermöglichte die Zuordnung der Blätter.
Die Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, wie der komplette Titel lautet, erschien von 1819 bis 1849 und gilt als eine der wichtigsten österreichischen Kulturzeitschriften ihrer Zeit.
Pompöser Faschingsball des britischen Botschafters am Wiener Hof
Der Kostümball, zu dem der englische Botschafter am Wiener Hof, Sir Henry Wellesley (1773-1847) eingeladen hatte, übertraf anscheinend alles, was bis dahin an Faschingsbällen bekannt gewesen war. So schreibt der Wiener Journalist Franz Karl Weidmann (1788-1867) in der Wiener Zeitschrift: Eine genügende Darstellung dieses, in seiner Art einzigen Festes, dürfte zu den Unmöglichkeiten gerechnet werden. Um den Lesern dennoch bildliche Eindrücke der Kostüme zu vermitteln, ließ das Journal die Stubenrauch-Zeichnungen von Franz Xaver Stöber (1795-1858) als Radierungen reproduzieren und veröffentlichte sie im Laufe des Jahres in Folge.
Nun aber zum Fest selbst: Der englische Botschafter hatte etwa 300 Personen – überwiegend Angehörige des Kaiserhofes und des europäischen Hochadels – für Faschingsmontag, den 6. Februar 1826, abends zwischen 10 und 11 Uhr in seine festlich beleuchtete Residenz geladen.
Zwölf Quadrillen aus kostümierten Romanfiguren
Der Großteil der Gäste hatte sich in 12 Gruppen – sogenannten Quadrillen – aufgeteilt, jede davon stellte Figuren eines Romans der Schriftsteller Sir Walter Scott sowie Caroline und Friedrich de la Motte Fouqué dar. Entsprechend den literarischen Vorlagen trug die Festgesellschaft Kostüme im Stil des antiken Rom, des Mittelalters und der Renaissance, exotische Gewänder, aber auch Verkleidungen als Phantasie- und Sagengestalten. Darüber hinaus waren zahlreiche Gäste individuell kostümiert, einige trugen Gewänder nach historischen Gemäldevorlagen und dazu sogar originale Accessoires aus dem 16. Jahrhundert. Der große Aufwand, der um die Kostüme zu dem Ball betrieben wurde, blieb auch im Ausland nicht unbeachtet. So schätzte die Leipziger Zeitung für die elegante Welt in ihrem Bericht den Wert der Juwelen, die zu dem Fest getragen wurden, auf über 10 Millionen Gulden!
Entsprechend feierlich fiel der Einzug der Gäste aus. Begleitet von Marsch-Musik, ging jeder Quadrille ein als Herold verkleideter Page voraus und trug eine Fahne mit dem Titel der literarischen Vorlage, die die Gruppe darstellte.
Im Fall der ersten Quadrille handelte es sich um den historischen Roman Der Abt von Sir Walter Scott – zwei unserer Zeichnungen zeigen Figuren daraus. Die Teilnehmer der zweiten Quadrille waren nach der Vorlage Die Löwenjagd von Friedrich de la Motte Fouqué kostümiert – auch von dieser Gruppe besitzen wir eine Zeichnung. Unser viertes Blatt bildet Figuren aus dem Roman Ivanhoe von Sir Walter Scott ab, das Thema der 9. Quadrille.
Die Atmosphäre des Abends und die Wirkung der Kostüme lässt ein Zitat Franz Karl Weidmanns erahnen: Es war ein eigener zauberischer Anblick … die blitzenden Geschmeide und Stickereyen überflammten die tausend Kerzen, und strahlten, als ob ein neuer Himmel von Gestirnen sich erschlossen habe.
Am folgenden Abend wurde der Festzug bei Hof, vor dem Kaiser und der Kaiserin wiederholt – für die damalige Zeit eine absolute Auszeichnung.
So wundert man sich auch nicht, dass noch im gleichen Jahr der Verlag der Wiener Zeitschrift die Kostümdarstellungen erneut – diesmal zweisprachig, auch in französischer Sprache, als Buchausgabe publizierte. Zudem veranlasste Henry Wellesley die Herausgabe einer englischsprachigen Version in London. Jede der Publikationen enthält Namenslisten, die die Identifikation der TrägerInnen der Kostüme ermöglicht. Dieser außergewöhnliche Maskenball des Wiener Karnevals im Jahr 1826 ist also umfangreich dokumentiert – erfreulich, dass wir in den Kunstsammlungen vier Blätter als Erinnerung an das besondere Ereignis besitzen!
Ausgabe der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 24, vom 25. Februar 1826
Alle Zeichnungen stammen aus den Beständen der Graphischen Sammlung, die jetzt in die Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg integriert ist.