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13 / 9 / 2016

Im stillen Kämmerchen

Durch ein Guckloch blickt man ins Arbeiterschlafzimmer im Museum Industriekultur

Die Löcher in der Tür ziehen Blicke magisch an: Endlich können die Besucher im Museum Industriekultur schauen, wie es im Arbeiterschlafzimmer aussieht.

Die Tür freilich bleibt weiterhin verschlossen. Das hat einen guten Grund, wie Ausstellungskuratorin Regine Franzke sogleich beweist, als sie den Schlüssel umdreht. Der Raum dahinter ist klein, sehr klein. Mit ausgebreiteten Armen können Erwachsene die gegenüberliegenden Wände berühren.

Blick durch eines der Gucklöcher. Bildnachweis: Stefan Kübler

Blick durch eines der Gucklöcher. Bildnachweis: Stefan Kübler

„Der Raum war übrig, als wir die Arbeiterwohnung unterm Dach eingerichtet haben“, erzählt die Kuratorin. Die Küche mit Herd und schlichtem Tisch, in der sich alles Leben abspielte, und das kleine Wohnzimmer mit geschontem Sofa und poliertem Vertiko bilden das Zentrum. Weil das Schlafzimmer so winzig ist, dass nicht einmal ein Bett hineingepasst hätte, beließen es die Ausstellungsmacher mit einem Hinweisschild an der Tür. Eine, wenn auch schicke, Notlösung: In welcher Wohnung zeigen die Besitzer den Gästen schon ihr Schlafzimmer?

Ein Künstler schafft die perfekte Illusion

Das war so, bis Regine Franzke das Kinderbett fand. Aus Metall, weiß, und gerade so groß, dass es in den kleinen Raum passte. Aber ein Bett allein? Die rettende Idee war Stefan Kübler. Seit Jahren ist der Künstler, der aus Balingen in der Schwäbischen Alb stammt und heute in Dresden lebt, dem Museum Industriekultur als „Kulissenmaler“ verbunden. Er hat die Schöne auf dem Motorroller im Eingang gestaltet, hat die Volksfestszene, die Zuschauer auf der Sportribüne und vieles mehr gemalt.

So wie er sagt, dass seine Gemälde „viel mehr sind als reine Dokumentation der Wirklichkeit“, so gehen auch seine Auftragsarbeiten über die fotorealistische Darstellung hinaus. Für das Arbeiterschlafzimmer sollte er eine perfekte Illusion schaffen und hinter das Kinderbett mit malerischer Raffinesse noch mindestens zwei Betten in das Kämmerchen projizieren.

Die Tiefe wirkt echt – jedenfalls, solange man durchs Guckloch schaut und das Auge keine Referenzpunkte findet. Sobald Regine Franzke die Tür aber öffnet, rücken die Dachschräge, das Fenster und die beiden Kopf an Kopf Erwachsenenbetten freilich näher – die optische Täuschung löst sich auf. Sorgsam platziert die Kuratorin das Gebetbuch, das den historischen Eindruck vervollständigen soll, zu Wecker und Kerzenhalter auf den Nachttisch. Der ist so massiv wie das Kinderbett mit der originalen Bettwäsche und der Puppe, die zwischen Kissen sitzt, und der Kleiderhaken an der Wand.

Bedrückende Enge früher Arbeiterwohnungen

Was alles andere betrifft, bleibt die Tür ja verschlossen. Der Blick durch die verschiedenen Gucklöcher vermittelt die drückende Enge. Ungern stellt man sich vor, dass hier – quasi im Schichtbetrieb – zusätzlich zur Arbeiterfamilie auch die sogenannten Schlafgänger unter die Decke krochen, die keine eigene Bleibe und nicht einmal ein eigenes Bett hatten.

Informationen zur Museumseinheit „Leben um 1900“

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