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4 / 4 / 2019

„Dürfen da eigentlich alle mitmachen?“

Partizipation ist im Spielzeugmuseum ausdrücklich erwünscht

Das Schlagwort kennt man hauptsächlich aus der Politik und dem gesellschaftlichen Diskurs: Partizipation, also Teilhabe oder ein bisschen flapsiger Mitmachen. Nun erobert die Partizipation auch die Museen. Dr. Karin Falkenberg, Leiterin des Spielzeugmuseums, ist eine Streiterin für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern.

Frau Falkenberg, Museen gelten als Elfenbeinturm, Besucher werden dort eher als Störfaktor empfunden. Trifft das zu?

Die klassischen Aufgaben von Museen sind das Sammeln, Bewahren und Erforschen. Und obgleich in den neuen Definitionen auch das Ausstellen und Vermitteln dazu gehören, wollen wir den Besucher mit seinen Interessen und Erfahrungen noch stärker in den Blick nehmen. An dieser Veränderung arbeiten wir.

Was folgt stattdessen?

Im neuen Museumsverständnis sind die Besucher essentieller Bestandteil. Für sie machen wir ein Museum doch! Das Spielzeugmuseum ohne glückliche und inspirierte Besucher mag ich mir gar nicht vorstellen.

Für die Ausstellung „Schnee von gestern“ stellten Nürnberger Bürger winterliche Fotos aus früheren Zeiten zur Verfügung. Bildnachweis: Nürnberger Privatalbum/ Conny Wagner

Für jemanden etwas machen oder mit jemandem etwas machen ist aber doch ein großer Unterschied?

Wenn ich für jemand etwas mache, frage ich: Was stellst Du Dir vor? Wie hättest Du es gern? Durch die Besucherforschung – also durch Beobachtung, Befragung oder Statistiken – haben wir effektive Instrumente, mit deren Hilfe wir das erfahren können. Meine Herangehensweise ist, Besucher sowohl bei der Auswahl der Themen als auch inhaltlich im Prozess zu beteiligen. Das ist die anstrengendste Variante, aber auch die coolste.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir nennen die Ausstellungsform im Spielzeugmuseum „Partizipative Bürgerausstellung“. Varianten sind Hands-on-Museen, bei denen Besucher nicht nur Knöpfe drücken, oder Kindermuseen und Science Center, in denen die Besucher experimentieren. Im Spielzeugmuseum lassen wir die Menschen mitspielen und darüber hinaus zeigen wir Objekte und Dokumente, die uns unsere Besucherinnen und Besucher zur Verfügung stellen. Bei „Schnee von gestern“ haben wir mit Fotos gearbeitet und auch bei „Bitte lächeln!“ um Kinderfotos aus Privatalben gebeten, die seitdem im Museum zu sehen sind. Für die Ausstellung „Notspielzeug“ haben wir die Bevölkerung dazu aufgerufen, dem Museum selbstgemachtes Spielzeug aus der Kriegs- und Nachkriegszeit zur Verfügung zu stellen. Über Fotos und Gegenstände hinaus geht es uns darum, die zugehörigen Geschichten zu erfahren und sie – eingeordnet in den historischen Zusammenhang – anderen Besuchern zu erzählen.

Zwei von 100 Spielerporträts in der Ausstellung „Nürnberg hat das Zeug zum Spielen!“

Aktuell sind Spielerporträts Teil der Ausstellung „Nürnberg hat das Zeug zum Spielen“. Wie gehen Sie vor?

Sinnvoll ist diese Form von Bürgerbeteiligung immer dann, wenn sie die Ausstellung inhaltlich bereichert und vervollständigt. Bei den Spielerporträts haben wir genau überlegt, wie wir an die Öffentlichkeit gehen. Per Zeitungsaufruf? Das Thema Spielen ist so groß, dass wir sicher ertrunken wären in den Antworten. Wir haben dann die ersten Spieler über Mundpropaganda in unseren Familien, im Freundes- und Bekanntenkreis gewonnen und uns weiter durchgefragt zu Menschen, die wir vorher nicht kannten.

Das hört sich, mit Verlaub, ein bisschen beliebig an…

Und es ist doch eine klassische wissenschaftliche Vorgehensweise, denn in der empirischen Sozialforschung heißt ein methodischer Leitsatz: „Grabe, wo du stehst“ – also in deiner Stadt, in deinem Umfeld. Mit begründeter Methodik ist das Vorgehen wissenschaftlich.

Für die Ausstellung „Bitte lächeln!“ bekam das Spielzeugmuseum Kinderfotos aus Privatbesitz.

Beschäftigen sich Museen nicht vordringlich mit der Vergangenheit?

Ich finde Museen klasse, wenn sie bis an die Gegenwart herangehen. Insbesondere beim Spielzeugmuseum ist das von Bedeutung, denn Kinder und Jugendliche haben meist noch kein historisches Verständnis. Sie gehen immer von dem aus, was sie kennen. Sie erobern sich die Geschichte durch ihre eigene Welt und dann durch die Erfahrung ihrer Eltern und Großeltern, zum Beispiel über deren Kinderspiele. Schulische Vermittlung ist da oft etwas abstrakt.

Wie bewegt das Spielzeugmuseum die Menschen dazu, beim Museum mitzumachen?

Oft über Aufrufe in den Medien, Zeitung, Hörfunk, Internet, aber auch über Mundpropaganda.

Wie weit geht die Teilhabe der Besucher an einem Museum?

Einige Museen verfolgen jetzt schon neben ihren klassischen Ausstellungstätigkeiten ein partizipatives Programm: Die Museumsmacher rufen die Bevölkerung dazu auf, sich an der Museumsarbeit mit ihren persönlichen Objekten zu beteiligen und stellen diese aus. Dabei ist die Grenze zwischen Partizipation und Sozialarbeit fließend. Aber ich sehe bei diesem Modell auch die Gefahr, dass die Themen beliebig werden und laienhaft wirken können. Deshalb ist dies nicht ganz mein Weg. Wir brauchen eine klare wissenschaftliche Qualität. Das Spielzeugmuseum ist ein Museum und wir lenken als Team die vielen, tollen Impulse in eine wissenschaftlich durchdachte und ansprechende Umsetzung, über die man reden, nachdenken, aber auch streiten und weiterdiskutieren kann.

Selbstgemachtes Spielzeug aus der Kriegs- und Nachkriegszeit in der Ausstellung „Notspielzeug“. Foto: Uwe Niklas

Ist es nicht schwierig, mit Bürgerinnen und Bürgern zu arbeiten, die wenig von professioneller Museumsarbeit verstehen?

Im Gegenteil! Es ist jedes Mal ein beglückendes Erlebnis, wenn Menschen leidenschaftlich an einer Ausstellung partizipieren. Wenn wir erfahren, warum für sie persönlich ein Objekt und seine Geschichte erhaltenswert sind. Dazu brauchen wir natürlich Zeit für die Vorbereitung und die Nachbereitung, vor allem müssen wir Museumsmacher uns einlassen.

Über die Arbeit hinaus?

Wer partizipatorisch im Museum arbeiten will, muss die Methoden der empirischen Sozialforschung beherrschen. Er darf keine Angst vor Menschen haben – egal, ob sie kooperativ oder anstrengend sind – und muss den Mut besitzen, mit Themen umzugehen, die nicht seiner eigenen Meinung entsprechen.

Zum Beispiel?

Bei der Ausstellung „Notspielzeug“ haben uns die Menschen auch Spielzeuge gebracht, die mit Hakenkreuz bemalt waren. „Das war damals so“, haben sie unreflektiert gesagt. Doch wollen wir dem Nationalsozialismus im Spielzeugmuseum keine Bühne bieten. Was tun? Am Ende haben wir das Thema in einem gesonderten Bereich ausgestellt und es historisch eingeordnet und kommentiert.

Dr. Karin Falkenberg, Leiterin des Spielzeugmuseums Nürnberg. Foto: Marie Theres Graf

Wenn das so anstrengend ist, warum halten Sie an der Partizipation fest und wollen sie weiter vorantreiben?

Das Museum als Diskursflache zu öffnen, ist wunderbar! Kein anderer Ort bietet so anschaulich und qualitativ hochwertig Anregungen für Gespräche, ist wie gemacht für das Nachdenken und Neu-Denken von Entwicklungen und Veränderungen in unserer Gesellschaft. Wenn wir unsere Methodik der „partizipativen Bürgerausstellung“ anwenden und Fragen stellen, filtern wir Geschichten heraus, die für eine breitere Öffentlichkeit weiterführend sind. Gerade das Spielzeugmuseum ist in meiner Wahrnehmung ein „Einsteigermuseum“, das ganz unterschiedliche Altersgruppen, Interessen und Nationalitäten bedient.

Es ist ein Museum, in dem sich Kinder und Jugendliche inspirierende Impulse holen können, die nicht am Lehrplan ausgerichtet und doch relevant für unser Zusammenleben sind. Es ist ein Museum, das leicht verständlich wirkt. Es ist ein Möglichkeitsraum. In diesem Möglichkeitsraum zeigen wir unsere Kulturgeschichte, unsere Erfindungen, unsere Entwicklungen, unsere Träume und Sehnsüchte in Miniatur – für Kinderhände. Hermann Glaser hat gesagt: „Nürnberg – im Großen klein und im Kleinen groß.“ Dieser Satz ist eine Liebeserklärung an Stärken unserer Stadt: Wenn Kinder und Jugendliche inhaltlich am Spielzeugmuseum teilhaben und mitgestalten, dann sind wir im ganz positiven Sinn sowohl „im Großen klein“ als auch „im Kleinen groß“!

Informationen zur Ausstellung „Nürnberg hat das Zeug zum Spielen!“

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