Museenblog Nürnberg

Neueste Beiträge

Kategorien

18 / 10 / 2018

Einsatz für Frieden und Menschenrechte

Interview mit Klaus Rackwitz, Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien (IANP)

Gegründet im Jahr 2015 von der Stadt Nürnberg, dem Freistaat Bayern und dem Auswärtigen Amt, ist die Internationale Akademie Nürnberger Prozesse (IANP) ein Ort der Forschung, des Dialogs und der Weiterbildung. Sie unterstützt all jene, die sich dafür einsetzen, dass Völkermorde, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression strafrechtlich untersucht und verfolgt werden.

Im Saal 600 – dem historischen Ort der Nürnberger Prozesse, die als Geburtsstunde des Völkerstrafrechts gelten – treffen sich regelmäßig Expertinnen und Experten zum Austausch. So auch beim diesjährigen „Nuremberg Forum“ am 19./20. Oktober 2018. Im Fokus steht dann das 20-jährige Bestehen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs.

Der Jurist Klaus Rackwitz (58) ist seit 2016 Direktor der IANP. Er war Richter in Nordrhein-Westfalen, außerdem beim internationalen Strafgerichtshof in Den Haag tätig sowie bei Eurojust, der Justizbehörde der Europäischen Union. Im Interview spricht er über die Zukunft der Akademie, ihre internationale Bedeutung und ihren bevorstehenden Umzug in den Ostflügel des Justizpalastes an der Fürther Straße.

Klaus Rackwitz, Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien.

Herr Rackwitz, was sind die Ziele der Akademie?

Ziel der Akademie ist es, durch die Stärkung des Rechts, der Nürnberger Prinzipien und des Rechtsstaatsprinzips nachhaltig Frieden zu fördern. Daher unterstützt sie weltweit die Durchsetzung des internationalen Strafrechts durch Wissensverbreitung und gezielte Trainingsmaßnahmen auf nationaler Ebene, um solche Verbrechen strafrechtlich zu untersuchen und zu verfolgen.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Die Akademie veranstaltet internationale Konferenzen, die dem Austausch und der Diskussion von Experten und Praktikern auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts (dieses umfasst die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, das Verbrechen der Aggression sowie Völkermord) ein Forum bieten.

Eine weitere wichtige Säule ist die Aus- und Fortbildung von Juristinnen und Juristen, aber auch von Sozial- und anderen Geisteswissenschaftlern, in der praktischen Anwendung des Völkerstrafrechts. Dabei fokussiert sich die Akademie auf Teilnehmer aus Krisen- bzw. Konfliktstaaten.

Die dritte Säule stellt die anwendungsbezogene Forschung dar: Die Akademie untersucht zum Beispiel die Nutzung neuer Medien als Beweismittel in internationalen Strafverfahren oder die Verfolgung internationaler Straftaten durch Drittstaaten.

Fällt es leicht, diese Ziele umzusetzen oder ist es ein stetes Ringen?

Die Durchsetzung des Rechts ist immer ein stetes Ringen, sei es im nationalen oder im internationalen Bereich, hier unterscheidet sich die Tätigkeit der Akademie nicht von anderen Einrichtungen im Bereich der Rechtspflege. Aber es gibt auch politische Widerstände – die jüngsten Erklärungen des Sicherheitsberaters des Präsidenten der USA, man werde Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofes nicht nur nicht anerkennen, sondern, soweit US-Bürger betroffen seien, aktiv bekämpfen, sind nur ein Beispiel.

Warum ist die Gründung der IANP 2015 wichtig gewesen und hätte sie früher erfolgen müssen?

Theoretisch könnte man sagen, es ist nie zu früh – daher hätte in der Tat die Gründung theoretisch auch früher erfolgen können. Ich halte dies jedoch nicht für ein Problem, im Gegenteil – durch die sorgfältige Planung sowie die Erarbeitung einer wissenschaftlich fundierten Machbarkeitsstudie, stand und steht die Akademie auf einem soliden Fundament und muss nicht durch einen zeit- und kostenintensiven Selbstfindungsprozess.

Zur Wichtigkeit: Es fehlte bis zur Gründung der Akademie an einer Einrichtung, die sich ausschließlich mit den Fragen des Völkerstrafrechts und vor allem seiner praktischen Anwendung befasst. Diese Arbeit kann weder von den allgemeinen Justizbehörden noch den Hochschulen geleistet werden. Und die wenigen internationalen Gerichte und Tribunale sind ebenfalls mit der Fallarbeit mehr als ausgelastet. Die Akademie kann hier wichtige Aufgaben übernehmen, die ansonsten niemand erledigen würde.

Was hat die Akademie seit ihrer Gründung erreicht?

Ein Höhepunkt war im Mai dieses Jahres unsere internationale Konferenz zum 70. Jahrestag der Urteile von Tokio – das Parallelgericht zu Nürnberg für den Fernen Osten, welches häufig im Schatten von Nürnberg steht. Keine andere Konferenz weltweit hat so viele Experten und Fachleute zu diesem Thema zusammengebracht. Die Ergebnisse werden als Buch in der Reihe „Nuremberg Academy Series“ veröffentlicht und stehen danach für Wissenschaft und Praxis zur Verfügung. Wir freuen uns auch sehr über die rasant steigenden Anmeldungszahlen zu unserem Nuremberg Moot Court sowie zu unserer Sommerakademie.

Internationale Konferenz „70 Years Later: The International Military Tribunal for the Far East“, 17. bis 19. Mai 2018.

Und last but not least sind wir sehr stolz, dass es uns sehr oft gelingt, die weltweit führenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Praxis des Völkerstrafrechts nach Nürnberg zu holen. Das macht unsere Konferenzen – auch jetzt das Nuremberg Forum zum 20-jährigen Jubiläum des Römischen Statutes am 19. und 20. Oktober 2018 – sicherlich zu den größten in Europa, aber auch darüber hinaus.

Ist die Akademie im Bewusstsein der Nürnberger präsent?

Jeder Nürnberger und jede Nürnbergerin kennt die Nürnberger Prozesse – die Nürnberger Prinzipen hingegen, die unmittelbar aus dem Hauptkriegsverbrecherprozess entstanden sind und die bis zum heutigen Tage die Grundlage des Völkerstrafrechts bilden, dagegen nicht einmal alle Juristen. Und so ist es auch mit der Akademie. Aber ich bin zuversichtlich, dass unsere Präsenz im Bewusstsein der Nürnberger und ihrer Stadt zunehmen wird, wenn wir – dann auch viel besser sichtbar – an unseren endgültigen Standort im Ostflügel des Nürnberger Justizpalastes umgezogen sind.

Wie sieht es mit der internationalen Akzeptanz aus?

Ich denke, da stehen wir nicht schlecht da – wir haben enge und persönliche Kontakte zu den Chefanklägern und den Präsidenten aller zurzeit aktiven internationalen Gerichte und Tribunale und, wie schon erwähnt, die Teilnehmerlisten zu unseren Veranstaltungen können sich wirklich sehen lassen.

Auch in der akademischen Welt sind wir keine Unbekannten, wir arbeiten mit Hochschullehrern und -lehrerinnen auf allen Kontinenten der Welt zusammen. Unbestritten ist unsere Neutralität und unser den Praktikern des Völkerstrafrechts zugewandter Ansatz.

Das Siegerteam des Nuremberg Moot Court 2018 (25. bis 28. Juli 2018) von der Maastricht University, mit vlnr: IStGH-Richter Bertram Schmitt, Klaus Rackwitz und Prof. Dr. Christoph Safferling, FAU Erlangen-Nürnberg.

Was sind derzeit aktuelle völkerstrafrechtliche Themen, die die Akademie beschäftigen?

Natürlich ist die derzeitige Situation im Nahen Osten ein wichtiges Thema. Die drohende Straflosigkeit der Verantwortlichen für abscheuliche Verbrechen, die wir oft in den Nachrichten verfolgen müssen, ist für viele belastend. Gemeinsam mit anderen arbeiten wir zur Unterstützung von Alternativen, etwa die Verfolgung von Straftaten von deutschem oder europäischem Boden aus unter dem Prinzip der Universalität.

Aber auch die steigende Unzufriedenheit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, die sich in den Austritten einzelner Staaten manifestiert, die Blockade im UN- Sicherheitsrat, die eine Verfolgung von Straftaten durch den Internationalen Strafgerichtshof aus politischen Gründen verhindert, oder der wiederholte Ruf nach Straffreiheit für amtierende Staatschefs sind Themen, die die Akademie beschäftigen.

Angesichts der Kriege und Konflikte in der Welt: Haben Sie manchmal das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen?

Jeder, der sich auf den langen Weg der Durchsetzung der Menschenrechte und des Friedens begibt weiß, dass das eine mühselige Angelegenheit werden wird, da sollte man keine Illusionen haben, was später zu Enttäuschungen führen könnte. Aber wenn es gelingt, dass mit Hilfe der Akademie und ihrer Forschungs- und Ausbildungstätigkeit irgendwo ein Strafverfahren stattfindet, welches den Opfern Genugtuung verschafft und ihre Würde wiederherstellt, dann hat die Akademie jedenfalls für diese Opfer etwas Greifbares bewirkt.

Was schätzen die IANP-Gäste an der Einrichtung besonders?

Besonders schätzen unsere Gäste die sehr sorgfältige Vorbereitung und Durchführung unserer Veranstaltungen – alles ist vorbreitet, alles organisiert und betreut, so dass sich die oft von weither anreisenden Teilnehmer vollkommen auf die Sache konzentrieren können. Und für das Engagement und die Freundlichkeit meiner Mitarbeiter bekommen wir oft sehr positives Feedback.

Teilnehmer der Nuremberg Summer Academy for Young Professionals, 6. bis 17. August 2018.

Gibt es eine Begegnung, die Sie während Ihrer Zeit als Direktor nachhaltig berührt hat?

Ja, die Begegnung mit dem ersten Präsidenten des Kuratoriums der Akademie, Thomas Buergenthal – ein Mann, der als Kind deutscher Eltern jüdischen Glaubens die Hölle von Auschwitz überlebt hat und dabei Unbeschreibliches hat durchmachen müssen – nicht nur die Ermordung von engsten Verwandten, sondern noch viele andere schreckliche Erlebnisse – und der dennoch nicht in Hass und Rachegedanken endete, sondern sich aufmachte und das heute bestehende humanitäre Völkerrecht erheblich mitgeprägt hat. Diesen Zeitzeugen der schlimmsten deutschen Vergangenheit kennenzulernen und gemeinsam mit ihm dafür zu arbeiten, dass sich Derartiges nicht wiederholt, hat mich in der Tat sehr berührt.

Bietet die IANP Angebote für das breite Publikum?

Die Akademie arbeitet eng mit der Stadt Nürnberg und ihren Einrichtungen zusammen. Wo immer sinnvoll, übernimmt die Akademie auch Veranstaltungen, die sich an die Allgemeinheit richten – im letzten Jahr zum Beispiel in Verbindung mit dem Rahmenprogramm zur Verleihung des Menschenrechtspreises, wo wir uns mit drei Veranstaltungen an die Bevölkerung gewandt haben.

Wir waren auch aktive Teilnehmer bei den Stadt(ver-)führungen vor wenigen Wochen und haben vor zwei Jahren eine Veranstaltung mit Schülern Nürnberger Gymnasien durchgeführt. Grundsätzlich sind alle unsere Veranstaltungen öffentlich, aber es ist schon so, dass sich der Schwerpunkt unserer Angebote an das Fachpublikum wendet.

Ist Ihr Vertrauen in die Kraft des Rechts schon mal erschüttert worden?

Das geht wohl jedem Juristen so, auch mir und schon seit meiner Zeit als junger Richter und bis heute. Nicht immer sind Entscheidungen nachvollziehbar und manchmal wird sogar trotz klarer Rechtslage das Recht missachtet, das kann schon frustrierend sein. Aber, um es mit Gustav Heinemann auszudrücken – das Recht ist die Waffe des Schwachen und es bleibt daher eine unverzichtbare und auch große Errungenschaft, die im wahrsten Sinne des Wortes alternativlos ist.

Buchvorstellung und Diskussion – „From Streicher to Šešelj: The Origins and Outlook of Atrocity Speech Law“, 7. Juni 2018.

Wäre es vorstellbar, dass die IANP an einem anderen Ort als Nürnberg tätig wäre?

Theoretisch wäre das natürlich möglich, aber die Tatsache, dass hier in Nürnberg zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit grauenhaftes Unrecht mit den Mitteln des Rechtes und der Justiz geahndet wurden, hat schon erhebliche Bedeutung – bei allen Meinungsverschiedenheiten, die es geben mag, Nürnberg als die Geburtsstätte des Völkerstrafrechts ist und bleibt unbe- und unumstritten.

Haben Sie eine Vision für die Zukunft der IANP?

Ich möchte Nürnberg als „the place to be“ im Bezug auf völkerstrafrechtliche Diskussionen und Entwicklungen etablieren. Die auf diesem Gebiet wichtigen Themen sollen hier diskutiert werden, auch wenn die Entscheidungen später woanders, zum Beispiel auf multilateralen Konferenzen getroffen werden, etwa bei den Vereinten Nationen.

Die Akademie sollte die führende Einrichtung auf dem Gebiet der Verbindung von völkerstrafrechtlicher Praxis mit Vertretern der Wissenschaft und, ganz wichtig, auch mit Vertretern anderer Disziplinen werden und damit in der interdisziplinären Debatte völkerstrafrechtlicher Fragen ganz vorne mit dabei sein.

Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der internationalen Strafgerichtsbarkeit aus?

Wie vieles im zwischenstaatlichen Bereich wird auch die internationale Strafgerichtsbarkeit sich am langen Ende als Regel und nicht mehr – wie leider heute noch – als Ausnahme darstellen. Dabei mögen die Formen, in denen Rechtsgewährung stattfindet, wechseln, weg von teuren und auch recht unbeweglichen internationalen Gerichten, die ohnehin nur den kleinsten Teil der Fälle bearbeiten können, und hin zu mehr regionalen und bzw. oder hybriden Gerichten – darauf wird es nicht ankommen. Aber alle werden die Nürnberger Prinzipien als Basis haben, davon bin ich überzeugt.

Hat der bevorstehende Umzug der IANP in den Ostflügel des Justizpalastes eine besondere Bedeutung?

Die Symbolkraft des Schwurgerichtssaals ist beeindruckend, tausende Besucher wollen jedes Jahr diesen Raum selbst erleben. Und selbst für mich ist eine Veranstaltung in diesem Raum noch heute etwas Besonderes. Ja, die unmittelbare Nähe zu dem Raum, in dem de facto die Nürnberger Prinzipien entstanden (auch wenn diese von der ersten UN-Vollversammlung 1948 in London verabschiedet wurden) hat eine besondere Bedeutung und gibt vielen Veranstaltungen der Akademie auch ein besonderes Gewicht.

Ein Ziel der Akademie ist, den Frieden zu fördern – ist Frieden nicht eine Illusion?

Sofern es um den Weltfrieden geht mag das so sein – aber die Sicherung des Friedens beginnt im Kleinen und da sind Fortschritte natürlich sichtbar. Seit 1945 hat es keine Kriege mehr zwischen Völkern Europas gegeben, der innerjugoslawische Konflikt ist da die Ausnahme. Keine andere Epoche in der europäischen Geschichte kann eine derartig lange Friedensperiode vorweisen.  Nachhaltiger Frieden ist keine Illusion, vielleicht aber eine Welt ohne jegliche gewaltsamen Konflikte – das wäre schon ein sehr ambitioniertes Ziel.

Kann die Akademie die Welt (ein Stück weit) verändern?

Das vermag ich so nicht zu beurteilen – aber wenn es gelingt, dass mit Hilfe der Akademie und ihrer Forschungs- und Ausbildungstätigkeit irgendwo auf der Welt ein Strafverfahren stattfindet, welches den Opfern Genugtuung verschafft und ihre Würde wiederherstellt, dann hat die Akademie jedenfalls für diese Opfer dazu beigetragen, die Welt zu verändern.

Hat die Akademie auch eine Verpflichtung zur Erinnerung?

Ich denke, diese Verpflichtung zur Erinnerung hat jeder und das bestreitet auch niemand ernsthaft – wenn man von Geschichtsfälschern und Hetzern einmal absieht. Was zwischen 1933 und 1945 geschah, darf sich nie wiederholen – und die Erinnerung daran, dass einige der schlimmsten Täter am Ende durch ein Gericht zur Verantwortung gezogen wurden und nicht davonkamen, sollte und darf nicht in Vergessenheit geraten.

Informationen zur Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien


Bildnachweis für alle Fotos: Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien/ LÉROT

Schreibe einen Kommentar
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

*

*