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16 / 8 / 2016

Tatort Museum: Die Sammlungskuratorin

Dass sie das Jagdfieber packt, gibt Regine Franzke gern zu. Mehr noch: „Wenn ich keins mehr habe, muss ich aufhören.“ Aber die Sammlungs- und Ausstellungskuratorin kennt auch die letzten, nervenzerrenden Sekunden einer eBay-Auktion, bei der sie mit angehaltenem Atem und pochendem Herzen – gefühlt – nahe am Infarkt vorbeischrammt.

Für die Ausstellung „Verborgene Schätze“ im Museum Industriekultur hat Regine Franzke gleich mehrere solche Herzinfarkt-Momente durchlebt. Denn es fehlte, trotz reichem Fundus in den Depots, natürlich immer noch das eine oder andere Stück, das für eine stilechte Inszenierung der Wohnräume aus verschiedenen Jahrzehnten quasi unverzichtbar war.

Kleine Schätze aus den 1960er Jahren, darunter der "Zigarettenigel". Foto: Barbara Geiler

Kleine Schätze aus den 1960er Jahren, darunter der „Zigarettenigel“. Foto: Barbara Geiler

Zigaretten-Igel und Zahnstocher-Schwein

Wie der Zigaretten-Igel zum Beispiel, der in der Vitrine neben einem Zahnstocher-Schwein glänzt und den die Kuratorin im Haushalt ihrer Eltern fand und für die Ausstellung geliehen hat. Wie die Glasfaserlampe aus den 1970er Jahren, von der sie zwei Exemplare in einem Antiquitätengeschäft in Fürth entdeckt und für zu teuer befunden hatte. Als die Ausstellung näher rückte, waren die dann verkauft… Regine Franzke wringt die Hände und rollt die Augen. Ausgerechnet! Am Ende hat sie „doch noch eine erwischt“, günstiger zudem.

„Lupenreine 50er“! Wo findet man gute Stücke für die Sammlung?

Unter anderem gehört der Ankauf zu ihren Aufgaben. „In der Alltagskultur der 70er und 80er Jahre gibt es noch viele Lücken“, berichtet sie. Das ist auch dem Zeitgeist geschuldet. Wer sich um die Jahrhundertwende oder in den 1930er Jahren einrichtete, wer in den 1950er und 1960er Jahren ein schönes Möbel kaufte, der musste vergleichsweise große Summen dafür zahlen und überlegte sich die Anschaffung gut. Von den schönen und qualitätsvollen Stücken, auf die man lang hingearbeitet hatte, trennte man sich nicht. Das änderte sich mit Beginn der 1970er, mit „plastic is fantastic“ und der aufkommenden Wegwerfmentalität.

"Plastic is fantastic" - die bunten 70er! Links im Bild die zeittypische Glasfaserlampe, ein sog. Pyroball. Foto: Barbara Geiler

„Plastic is fantastic“ – die bunten 70er! Links im Bild die zeittypische Glasfaserlampe, ein sog. Pyroball. Foto: Barbara Geiler

Deshalb stöbert die Kuratorin gelegentlich. In Läden und auf Trödelmärkten. Zudem bieten immer wieder wohlmeinende Menschen dem Museum betagte Gegenstände an. Regine Franzke erinnert sich an eine Frau, deren Eltern noch im Eisenwerk Julius Tafel – in dessen Fabrikhalle heute das Museum Industriekultur angesiedelt ist – gearbeitet hatten. Nach dem Tod der Mutter lud sie zur Wohnungsbesichtigung. Regine Franzke trat in eine Zeitkapsel, in der die Diele „lupenreine 50er“ war, das Wohnzimmer aus den 1960ern stammte und sich in der Küche noch Gegenstände aus den 1920er Jahren fanden. „Sogar das Jugendzimmer der Tochter aus den 1970er Jahren durfte ich mitnehmen, am Ende waren es zwei Kleinlaster voll“, erinnert sie sich.

Das zweite Leben der geliebten Gegenstände

Selten geht es um Geld. Die Spender sind einfach froh, wenn geliebte Alltagsgegenstände im Museum ein zweites Leben haben. Meist führen die es freilich im Verborgenen: Auch für die laufende Ausstellung konnte die Kuratorin nur 700 Gegenstände von mehr als 18.000 Objekten in den Depots ans Licht bringen.

Seltenes Bowle-Service mit Schöpfkelle aus den 1950er Jahren. Foto: Barbara Geiler

Seltenes Bowle-Service mit Schöpfkelle aus den 1950er Jahren. Foto: Barbara Geiler

Woher Regine Franzke weiß, was prägend für eine Epoche, was wertvoll und selten ist? „Ich sehe das den Dingen an“, sagt sie. Sie stammt aus einer Sammlerfamilie, hat sich ein Leben lang mit schönen und geschichtsträchtigen Gegenständen beschäftigt und ja nicht zuletzt Kunstwissenschaft studiert. Ihre erste Stelle fand sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kulturreferat („noch unter Glaser“). Über eine Bestandsaufnahme der Nürnberger Museen lernte sie dabei auch das Museum Industriekultur kennen – und verliebte sich auf den ersten Blick in Haus und Konzept, „weil in Nürnberg das industrielle Herz Bayerns schlug, weil das Museum auch die Lebenswelt der Leute hinter den Maschinen zeigt“. Ihr Lieblings-Exponat übrigens ist die große Dampfmaschine, die aus dem Tafelwerk stammt und mit ihrer ungeheuren Kraft die Maschinen dort antrieb. Fürs Foto steigt Regine Franzke gern über eine Leiter hinauf…

An das Museum Industriekultur kehrte sie nach Familienphase und freiberuflicher Tätigkeit als Ausstellungskuratorin und Autorin verschiedener Bücher, unter anderem zur Spielwarenmesse und dem Christkindlesmarkt, 2009 über einen Werkvertrag für die Ausstellung zum Eisenbahnjubiläum zurück.

„Die Menschen zu erreichen, ist alle Mühe wert“

Dass sie hier in ihrem Element ist, kann man Regine Franzke ansehen. Beim Streifzug durch die „Verborgenen Schätze“ entgeht ihr nichts: Hier stehen die Stühle der Kinder-Sitzgruppe im Jugendstil „schon wieder viel zu gerade“ und die Kuratorin rückt einen Stuhl ins lebendige Quer, dort hat jemand die Einkaufstasche der 50er einfach auf den Tisch gestellt. Geht gar nicht! Und natürlich darf die Original-Gebrauchsanleitung über der Toilette keinesfalls schief hängen…

Ganz nebenbei lauscht sie, worüber die Besucher sprechen. Wie ihre Erinnerungen bei dieser emotionalen Zeitreise wach werden, wie die Augen glänzen und sie ihre Begleiter anstupsen: „Weißt Du noch?“ Dann freut sich Regine Franzke und fühlt sich in ihrer Arbeit bestätigt. „Die Menschen zu erreichen, ist alle Mühe wert.“

Informationen zur Ausstellung „Verborgene Schätze“

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