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2 / 8 / 2016

Weltgericht, Keller, Ausstellung

Der Weg der Anklagebänke aus den Nürnberger Prozessen

Objekte erzählen Geschichte. Das gilt auch für die Anklagebänke im Memorium Nürnberger Prozesse. Es sind die spektakulärsten Exponate in unserer Ausstellung.

Auf den beiden aus furniertem Eichenholz gefertigten, mehr als zwei Meter langen Bänken nahmen am 20. November 1945 die Angeklagten des Internationalen Militärstrafgerichtshofs Platz. Vor dem ersten internationalen Strafgericht der Geschichte mussten sich Politiker, Militärs, Parteifunktionäre und Vertreter der Wirtschaft für die Verbrechen des NS-Staats verantworten.

Die vier alliierten Siegermächte einigten sich auf Nürnberg als Gerichtsort, weil mit dem weitgehend unzerstörten Justizpalast in der Fürther Straße und dem angrenzenden Gefängnis die notwendige Infrastruktur für den Prozess vorhanden war. Als Stadt der Reichsparteitage besaß der Gerichtsort Nürnberg zudem eine hohe Symbolkraft.

Blick von der Pressetribüne in den für den Prozess 1945 umgebauten Schwurgerichtssaal 600. Auf den Rückenlehnen der Anklagebänke sind die Kopfhörer zu sehen, die von den Angeklagten genutzt wurden, um das simultan in vier Sprachen übersetzte Prozessgeschehen zu verfolgen. Bildnachweis: Stadtarchiv Nürnberg

Blick von der Pressetribüne in den für den Prozess 1945 umgebauten Schwurgerichtssaal 600. Auf den Rückenlehnen der Anklagebänke sind die Kopfhörer zu sehen, die von den Angeklagten genutzt wurden, um das simultan in vier Sprachen übersetzte Prozessgeschehen zu verfolgen. Bildnachweis: Stadtarchiv Nürnberg, A 65/I Nr. RA-40

Entwurf der Bänke von Landschaftsarchitekt Dan Kiley

Für den Prozess wurde der Schwurgerichtssaal 600, der größte Sitzungssaal im Justizpalast, von der amerikanischen Besatzungsmacht im Sommer 1945 umgebaut. Verantwortlich für die Umbauten war Dan Kiley, ein Landschaftsarchitekt aus Boston, der für das Office of Strategic Service arbeitete, den Nachrichtendienst des amerikanischen Kriegsministeriums. Die Anklagebänke entwarf Kiley persönlich. Sie sollten möglichst unbequem sein; daher verzichtete er zunächst auf eine Rückenlehne. „Aber ein Mensch kann nicht den ganzen Tag sitzen, ohne sich anzulehnen, und so mussten wir die Rückenlehnen anbringen“, erinnerte sich Kiley in einem 1998 veröffentlichten Interview. Mit Eisenstangen sind sie an den Unterseiten der Bänke befestigt. An der Rücklehne der vorderen Bank sind Metallhaken angebracht für Kopfhörer. Mit Ihnen konnten die Angeklagten der Verhandlung folgen, die simultan ins Deutsche, Englische, Französische und Russische übersetzt wurde.

Die Angeklagten des Internationalen Militärgerichtshofs auf den Bänken, die heute in der Ausstellung des Memoriums zu sehen sind. Erste Reihe von links: Hermann Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Wilhelm Keitel. Zweite Reihe von links: Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel. Bildnachweis: National Archives, College Park, MD, USA

Die Angeklagten des Internationalen Militärgerichtshofs auf den Bänken, die heute in der Ausstellung des Memoriums zu sehen sind. Erste Reihe von links: Hermann Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Wilhelm Keitel. Zweite Reihe von links: Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel. Bildnachweis: National Archives, College Park, MD, USA

Wer saß auf den ausgestellten Anklagebänken?

Für die 21 Angeklagten ließ Kiley vier Anklagebänke fertigen. Wir können genau bestimmen, welche Personen auf den beiden ausgestellten saßen. Die vordere der beiden Bänke stand im Gerichtssaal links vorn. Auf ihr nahmen – von links nach rechts – die ranghöchsten Angeklagten Platz: Hermann Göring, Reichsmarschall, Reichsluftfahrtminister und designierter Nachfolger Adolf Hitlers, Rudolf Heß, der „Stellvertreter des Führers“, der Außenminister Joachim von Ribbentrop und der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht Wilhelm Keitel. Für den Chef des Reichssicherheitshauptamtes Ernst Kaltenbrunner, der krankheitsbedingt erst ab Dezember 1945 am Prozess teilnahm, wurde die Bank durch einen Anbau verlängert. Die dazu angebrachte Metallschiene ist noch zu erkennen.

Wie in der Ausstellung stand die zweite Bank auch im Gerichtssaal hinter der anderen. Auf ihr saßen Karl Dönitz, der Befehlshaber der U-Boote und spätere Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Erich Raeder, Dönitz‘ Vorgänger als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Baldur von Schirach, der „Reichsjugendführer der NSDAP“ und Gauleiter der Partei in Wien, und der „Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz“ und Gauleiter von Thüringen Fritz Sauckel.

Wie fielen die Urteile aus?

Das Internationale Militärgericht verurteilte die Angeklagten aus der ersten Reihe mit Ausnahme von Rudolf Heß am 1. Oktober 1946 zum Tod durch den Strang. Die Urteile wurden am 16. Oktober in der Turnhalle des Gefängnisses vollstreckt. Hermann Göring entzog sich der Hinrichtung durch Selbstmord. Zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde auch Fritz Sauckel. Die Offiziere Dönitz und Raeder sowie Heß und von Schirach erhielten Haftstrafen, die sie in dem von den Alliierten beschlagnahmten Gefängnis in Spandau verbüßten.

Nürnberger Nachfolgeprozesse – der Hauptangeklagte saß links vorn

Nach Abschluss des Internationalen Militärgerichtshofs begannen die Prozesse der Nürnberger Militärtribunale, die als Nürnberger Nachfolgeprozesse bekannt sind. Sie wurden von den USA allein durchgeführt und richteten sich gegen die Funktionseliten des NS-Regimes – Ministerialbeamte, Militärs, Manager und SS-Führer. Alle Verfahren, die von 1946 bis 1949 teilweise parallel stattfanden, wurden im Schwurgerichtssaal 600 eröffnet und abgeschlossen. Nach dem Vorbild des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher nahm auf der vorderen Bank links grundsätzlich der Hauptangeklagte Platz.

Blick auf die Anklagebänke vor Rückgabe des Schwurgerichtssaals 600 an die deutsche Justiz 1961. Die beiden Anklagebänke auf der rechten Seite, die nicht überliefert sind, waren deutlich breiter. Auf ihnen mussten jeweils sechs Angeklagte Platz nehmen.

Blick auf die Anklagebänke vor Rückgabe des Schwurgerichtssaals 600 an die deutsche Justiz 1961. Die beiden Anklagebänke auf der rechten Seite, die nicht überliefert sind, waren deutlich breiter. Auf ihnen mussten jeweils sechs Angeklagte Platz nehmen.

Nach knapp 50 Jahren – die Bänke werden Museumsobjekte

Aber was geschah mit den Bänken nach Abschluss der Prozesse? Erst 1961 übergaben die USA den Schwurgerichtssaal 600 an die deutsche Justiz. Innerhalb weniger Monate baute sie den Saal zurück. Dabei wurde auch das nach Kileys Plänen gefertigte Mobiliar entfernt.
Ende der 1990-er entdeckten Mitarbeiter der Justiz zwei der vier Anklagebänke im Keller des Oberlandesgerichts. Da es damals vor Ort noch keine Ausstellung zu den Nürnberger Prozessen gab, hatten die Museen der Stadt Nürnberg keine Verwendung für die historisch bedeutsamen Objekte. Und so erhielten das Deutsche Historische Museum in Berlin und das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn jeweils eine Bank als Leihgabe vom Oberlandesgericht. Ab 1998 präsentierte das Deutsche Historische Museum seine Bank in der Dauerausstellung. Das Haus der Geschichte zeigte die Anklagebank in verschiedenen Sonderausstellungen.

Eine der Anklagebänke in der 2006 eröffneten Dauerausstellung „Deutsche Geschichte in Bilder und Zeugnissen“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Zur Eröffnung der Ausstellung im Memorium kehrte die Leihgabe 2010 nach Nürnberg zurück. Bildnachweis: Stiftung Deutsches Historisches Museum

Eine der Anklagebänke in der 2006 eröffneten Dauerausstellung „Deutsche Geschichte in Bilder und Zeugnissen“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Zur Eröffnung der Ausstellung im Memorium kehrte die Leihgabe 2010 nach Nürnberg zurück. Bildnachweis: Stiftung Deutsches Historisches Museum

Aus Bonn und Berlin zurück nach Nürnberg

Als das Memorium 2010 eröffnet wurde, gelangten die Bänke zurück nach Nürnberg. Sie gehören heute zu den Hauptattraktionen unserer Ausstellung. Obwohl sie auf einem Podest mit einer schrägen Ebene stehen, setzten sich anfangs zahlreiche Besucherinnen und Besucher auf die Bänke und ließen sich auf dem Platz der Angeklagten fotografieren. Um die historischen Objekte zu schützen, werden die Bänke seit einigen Jahren mit einem Absperrband gesichert.

Aufnahme der Bänke in die „Deutsche Geschichte in 100 Objekten“

Das Memorium ist stolz darauf, dass Hermann Schäfer, der ehemalige Präsident des Hauses der Geschichte in Bonn, die Anklagebänke in seiner 2015 veröffentlichten „Deutsche Geschichte in 100 Objekten“ aufgenommen hat. Neben Martin Behaims Globus, Albrecht Dürers Federzeichnung „Das Frauenbad“ und dem „Adler“, der ersten Dampflokomotive in Deutschland, sind die Anklagebänke die einzigen Objekte aus Nürnberg, die Schäfer für seine Darstellung der deutschen Geschichte auswählte.

Hermann Schäfer, Deutsche Geschichte in 100 Objekten, München, Berlin, Zürich 2015. Bildnachweis: Piper Verlag

Hermann Schäfer, Deutsche Geschichte in 100 Objekten, München, Berlin, Zürich 2015. Bildnachweis: Piper Verlag

Informationen zu den Nürnberger Prozessen

Ergänzung durch Birgit Hohenstein:

Über den Landschaftsarchitekten Dan Kiley gibt es im Blog der Huffington Post einen sehr interessanten Beitrag mit vielen fantastischen Fotos.
Dan Kiley: A great yet little known Modernist


Andreas Mix M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Memorium Nürnberger Prozesse.

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