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19 / 5 / 2016

Docken, Gemsen, Gurken

Aus der Hausgeschichte des Spielzeugmuseums

„Schau mal, wie süß!“, ist ein begeisterter Ausruf, den man in der Nürnberger Karlstraße 13-15 heutzutage häufig und in vielen fremdsprachlichen Äquivalenten hören kann. Kein Wunder, verbergen sich doch hinter der prächtigen Renaissance-Fassade des Spielzeugmuseums wahre Schätze der Spielzeuggeschichte. „Probier mal, schön sauer!“, hieß es hingegen vor hundert Jahren an gleicher Stelle. Gemeint waren damals die Gurken oder der Ochsenmaulsalat der Konservenfabrik von Christian Harrer, in deren Besitz sich das attraktive Altnürnberger Häuserensemble seinerzeit befand. 1961 erwarb die Stadt Nürnberg das Haus Karlstraße 13 (das Nachbarhaus war Kriegszerstörungen zum Opfer gefallen) von den Erben des „Gurken Harrer“. Wenige Jahre später wurde dann hinter der historischen Fassade als neue Heimstatt für die Spielzeugsammlung der Familie Bayer ein Museumsneubau errichtet, der zur Spielwarenmesse 1971 eröffnet wurde.

Firmengebäude der Konservenfabrik Christian Harrer, um 1925. Repro aus: Erwin Stein (Hg.): Nürnberg. Monographien deutscher Städte. Bd. XXII, Berlin 1927, S. 447

Firmengebäude der Konservenfabrik Christian Harrer, um 1925. Repro aus: Erwin Stein (Hg.): Nürnberg. Monographien deutscher Städte. Bd. XXII, Berlin 1927, S. 447

Die Geschichte des Anwesens reicht weit zurück ins Mittelalter. In den städtischen Urkunden taucht das Haus Karlstraße 13 erstmals gegen Ende des 14. Jahrhunderts auf. Um 1500 befand es sich zusammen mit den Anwesen Karlstraße 15-17 im Besitz der patrizischen Familie Haller und trug den schönen Namen „Haus im Gemsenthal“. Nach mehrfachem Besitzwechsel gelangt 1611 das Haus Karlstraße 13 in die Hände des Juweliers Paul Kandler. Auf seine Initiative hin wurde eine neue Fassade mit einem dreistöckigen, reich verzierten Giebel im Stil der italienischen Renaissance errichtet. Sie wurde vermutlich von dem berühmten Baumeister Jakob Wolff d. Ä. entworfen, der auch für den Bau des prächtigen Pellerhauses verantwortlich zeichnete. Ein weiteres Charakteristikum der Fassade, das hölzerne Chörlein mit seinen barocken Stilmerkmalen, dürfte ein gutes Jahrhundert später angefügt worden sein. Um 1740/50 leisteten sich die damaligen Hausbesitzer eine neue, zeitgemäße Ergänzung, die heute im ersten Obergeschoss zu sehen ist: eine zauberhafte Stuckdecke mit Rokoko-Ornamenten und feinen, halbplastischen Vogeldarstellungen.

Die Rokoko-Decke im ersten Obergeschoss. Foto: Uwe Niklas

Die Rokoko-Decke im ersten Obergeschoss. Foto: Uwe Niklas

Vögel ganz anderer Art – aus Holz, Blech oder Papiermaché – mögen hingegen Besucher des Hauses Ende des 19. Jahrhunderts erfreut haben. Wer damals als Kunde ins Haus kam, sah sich nämlich dem „reichhaltigen Lager in Spiel- und Kurzwaren“ der Firma Schrögler & Scheckenbach gegenüber. Es gehört zu den schönen Zufällen der Geschichte, dass ausgerechnet in dem Gebäude, das später das Spielzeugmuseum beherbergen sollte, über Jahrzehnte hinweg eine Spielwarenhandlung ansässig war. International, wie der Nürnberger Spielzeughandel von jeher ausgerichtet war, warben Schrögler & Scheckenbach in einer Anzeige dreisprachig für ihr reichhaltiges Sortiment.

Werbeblatt der Spielwarenhandlung Schrögler & Schreckenbach, um 1890

Werbeblatt der Spielwarenhandlung Schrögler & Schreckenbach, um 1890.

Besucher des Spielzeugmuseums sind zumeist völlig überrascht, wenn sie aus dem nüchternen Museumsfoyer in den lauschigen Innenhof mit seiner charakteristischen „Dockengalerie“ hinaustreten. Mit „Docken“ wurden im alten Nürnberg sowohl Holzpuppen, als auch die gedrechselten Holzbalustraden bezeichnet, welche die zum Teil mehrstöckigen Galeriegänge in den Hinterhöfen begrenzten. Auch der heute ins Spielzeugmuseum einbezogene Hinterhof der Karlstraße 17 war ursprünglich vierseitig umbaut und wies auf drei Seiten umlaufende Dockengalerien auf. Auf diese Weise ließen sich die Wohnungen im Seiten- und Rückgebäude des Hinterhofs vom Vorderhaus aus trockenen Fußes erreichen. Wo heute das Café Lakritz im Sommer zum Verweilen einlädt und die Züge der LGB-Modellbahnanlage gemächlich ihre Bahnen ziehen, herrschte früher freilich rege Geschäftigkeit. Wie in den meisten Hinterhöfen der Nürnberger Altstadt, waren auch hier im Erdgeschoss Werkstätten untergebracht, die über Tordurchfahrten an den Schmalseiten des Hofes beliefert werden konnten. Die Kellergewölbe und Dachböden dienten der Lagerung von Lebensmitteln und Waren, ein Brunnen an der Westseite des Innenhofs versorgte die Bewohner mit Wasser. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Ensemble weitgehend zerstört, doch vermitteln die unter Denkmalschutz stehenden Überreste des Nebengebäudes noch heute einen guten Eindruck vom baulichen Charakter historischer Nürnberger Hofarchitektur.

„Nermbercher Gwerch“: Ansicht vom Hinterhof Karlstraße 17 mit Dockengalerie, August 1917. Bildnachweis: Stadtarchiv Nürnberg, (Bild-, Film- und Tonarchiv Sign. A38 B 73 10)

„Nermbercher Gwerch“: Ansicht vom Hinterhof Karlstraße 17 mit Dockengalerie, August 1917. Bildnachweis: Stadtarchiv Nürnberg, (Bild-, Film- und Tonarchiv Sign. A38 B 73 10)

Der Historiker Dr. Helmut Schwarz war bis Januar 2014 Leiter des Spielzeugmuseums Nürnberg.

 

2 Kommentare zu “Docken, Gemsen, Gurken

  • Wolfgang Greb
    12 / 2 / 2018 | 7:22

    Ist das Haller`sche Haus in dem das Spielzeugmuseum untergebracht ist, das Bestelmeierhaus?
    Wenn nicht, wo stand/steht das Bestelmeierhaus?
    Es soll über einer ehemaligen Kirchenruine erbaut worden sein, nach Plänen von Carl Haller von Hallerstein.
    Wer weiß wo es stand/steht?

    • Brigitte List
      13 / 2 / 2018 | 9:16

      Nein, das Bestelmeierhaus stand in der Königstraße 3, einen Block von der Museumsbrücke entfernt, an der Ecke zur Findelgasse.
      Es wurde mehrmals umgebaut, 1913 ganz abgerissen für einen Neubau der bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, der heute noch steht und heute die Hypo-Vereinsbank beherbergt.
      Von dem rückwärtigen Teil des Gebäudes, dem ehemaligen Chor der Franziskanerkirche, steht noch ein Teil, zu sehen von der Findelgasse aus.

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